Archiv der Kategorie: Briefmarke Politik

Am Anfang ist der Deutsche Bundestag – ohne Ägypten

Briefmarke zur Eröffnung des 1. Deutscher Bundestags 1949
Eigenes Foto

Am 7. September 1949 konstituierte sich der 1. Deutsche Bundestag in Bonn. Am gleichen Tag erscheinen genau aus diesem Anlass die ersten beiden Briefmarken der Bundesrepublik Deutschland (BRD), mit der symbolischen Darstellung eines Richtfestes: Ein neues demokratisches Haus der Deutschen soll entstehen. Links unten ist das Jahr dieses Beginns festgehalten.

Mit dieser Symbolik wurde an die verfassungsgebende Nationalversammlung der Weimarer Republik angeschlossen, mit der diese nach Kriegsende und Novemberrevolution in eine neue institutionelle Ordnung übergegangen war – und zugleich ein deutlicher Unterschied markiert.

Der am 1. Juli 1919 von der Reichspost herausgebrachte Satz hatte auch zu Symbolen gegriffen: Baum, Baumtriebe und Maurer. Alle drei Motive waren die Gewinner eines Künstlerwettbewerbs mit über 4500 Einsendungen gewesen.

Briefmarke Weimarer Nationalversammlung von 1919
Eigenes Foto

Die Briefmarken sollten 1919 die Nationalversammlung bekannt machen. Sie wurden dann bis ins Parlament hinein wegen ihres ägytisierenden Stils zum Gegenstand politisch-polemischer Auseinandersetzungen.

Allzu avantgardistisch waren sie, und der Phantomschmerz des untergegangenen Kaiserreiches zu groß. Deshalb gelang es diesen Briefmarken nicht, die Freimarkenserie zu ersetzen, die Jahrzehnte lang das Deutsche Kaiserreich begleitet hatte: die Germania.

Max Bittrof, der die Briefmarken 1949 entworfen hatte, greift nur das Motiv eines symbolischen Richtfests von 1919 auf. Zugleich befreit er es von allen ägytischen Anklängen.

Die Demokratie, um die es 1949 geht, erscheint durch und durch als Menschenwerk – ihr möglicher Erfolg ebenso wie ihr mögliches Scheitern. Auf allegorisch-religiöse Symbolik verzichtet er.

Allerdings verwendet er ein Natursymbol: die Sonne als runder Kreis mit geraden Strahlenstrichen. Er hatte sie in dieser Form schon 1948 auf einem 5-Mark-Schein für die Bank Deutscher Länder untergebracht.

Die Kritik an seiner stilisierten Lininenführung quittierte er mit dem Satz: „Dieses Gebilde zeigt den Mut, im Zeichen der Stromlinie etwas Neues zu schaffen.“

Warschau klagt an

2. Weltkrieg; zerstörungen in Polen
Brief aus Polen 1946, eigenes Foto

Warschau klagt an – so heisst der Briefmarkensatz, der 1945/1946 erschienen ist: auf der linken Seite der Marke jeweils der unzerstörte Vorkriegszustand, auf der rechten Seite, wie dieser Ort 1945 aussah.

Warschau wurde nicht nur durch unmittelbare Kriegshandlungen zerstört, sondern, nach der Nierderschlagung des Warschauer Aufstands, von der deutschen Wehrmacht mit Flammenwerfern und Sprengungen Häuserzug um Häuserzug, historisches Gebäude um historisches Gebäude, abgerissen.

Die rote Briefmarke zeigt das Königliche Schloss mit Sigismundsäule, die blaue Briefmarke die St.-Johannes-Kathedrale (14.–15. Jh.) und die schwarze Briefmarke das Hauptpostamt.

Diese Briefmarken zeigen nicht nur die Zerstörungen, man kann sie auch fühlen, wenn man das dünne Papier anfasst und die unregelmässigen Schnitte mit den Fingerspitzen fühlt, mit denen die Briefmarken aus ihren Druckbögen getrennt wurden.

Was mag der Empfänger des Briefes, selber Briefmarkensammler, damals 1946 gedacht haben? In Halle an der Saale, das fast unzerstört geblieben war – während Warschau fast komplett zerstört war? War er schockiert? Hat er sich geschämt? Hat es ihn bestärkt, das so etwas nie wieder passieren dürfe – erst recht nicht von deutschem Boden aus?

Allein diese drei Briefmarken wurden zusammengerechnet 100 Millionen mal gedruckt. Einhundert Millionen Anklagen, verschickt auf Briefen, Postkarten und Paketen, davon wie hier einige auch nach Deutschland, dem diese Anklage galt.

Diese Anklage, vor 75 Jahren erhoben, ist sie verjährt?