Alle Beiträge von Rainer Sprengel

Ehemals abgeschlossene Sammelgebiete und Krieg

Grenzverschiebungen
Briefmarken Estland, Georgien, Lettland, Litauen und Ukraine

Für Briefmarkensammler:innen gibt es mindestens ebenso viele abgeschlossene Sammelgebiete (es gibt keine neue Briefmarken mehr) wie offene Gebiete (es werden neue Briefmarken herausgegeben).

Abgeschlossen bedeutet konkret, dass zum Beispiel das Königreich Hannover zwischen 1850 und 1864 insgesamt 25 eigene Briefmarken herausgab, und danach keine eigenen mehr, weil es sich in größere Post- und schliesslich Staatsgebiete eingliederte.

Der Zerfall des Warschauer Paktes und der Sowjetunion liessen viele scheinbar abgeschlossene Sammel-Gebiete wieder entstehen. Die 5 gezeigten Briefmarken haben genau diese Gemeinsamkeit – und die Länder, um die es geht, sehen sich heute mit übergriffigen Ansprüches seitens Russland konfrontiert.

Estland, Georgien, Lettland, Litauen und Ukraine, diese fünf Länder sind hier versammelt.

Die Briefmarke oben links stammt aus Lettland, 1920 erschienen. Zuschlagmarken zugunsten des Roten Kreuzes, gedruckt auf Zehnrubelscheinen des entmachteten Arbeiter- und Soldatenrates Riga. In geschnittener Form gab es eine weitere Ausgabe auf Zehnmarkscheinen der besiegten Armee Bermondt-Awaloff. Eine gedruckte Absage an rot- wie weissrussische Ambitionen.

Mit Briefmarke bedruckter Rubelschein
Rückseite der Rotkreuz-Briefmarke aus Lettland 1920

Die rote Briefmarke aus Litauen erscheint Anfang 1939 und feiert nachträglich 20 Jahre Republik Litauen. Sie zeigt die Unabhängigkeitserklärung durch den Staatsrat vom 16. Februar 1918.

Die beiden mittleren, grünen Briefmarken stellen Formen elementarer Staatsbürgerkunde dar. Die obere Briefmarke zeigt das damalige Staatsgebiet Estlands, die untere Briefmarke das Wappen der neu gegründeten Ukrainischen Volksrepublik. Sie wurden 1923 bzw. 1918 herausgegeben.

Breifmarke aus Estland (oben von 1923) und der Ukrainischen Volksrepublik (unten, 1918)
Landkarte Estlands (1923, oben), Wappen Ukrainische Volksrepublik (1918, unten)

Die Briefmarke aus Georgien schliesslich stammt von 1920. Sie zeigt die Königin Tamara (1160–1212) mit Lanze und Wappen. Georgien wurde zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert die stärkste Macht in Transkaukasien und erst im 19. Jahrhundert von Russland annektiert. 

Alle diese fünf Sammelgebiete verschwanden im Zeitraum 1920 bis 1940 im Zuge kriegerischer Machtpolitik, durch die sie Teil der Sowjetunion wurden und entstanden Anfang der 1990er Jahre aufs Neue.

Dass es aktuell so aussieht, als ob sich das bei einzelnen dieser Länder wieder ändern könnte, weil die vorherrschende politische Kultur in Rußland vergangener Supermachtfantasien anhängt, mutet wie ein schlechter Witz der Geschichte an.

Denn: Die Sowjets rechtfertigten sich noch, zunehmend weniger überzeugend, im Namen einer menschheitsbeglückenden Ideologie, ob nun Sozialismus oder Kommunismus genannt. Doch wofür steht der Putinismus?

125 Jahre Caritas

Beim Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) ist die Caritas Mitglied des Monats, denn sie wird zwar nicht in diesem Monat, aber in diesem Jahr 125 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch!

Als der Weg der Caritas vor 125 Jahren begann, war eine andere, kaiserliche Zeit, wie diese beiden Briefmarken zeigen, die damals im Deutschen Reich in Gebrauch waren: Wertziffer unter Krone im Perlenoval auf der linken, Reichsadler im Kreis auf der rechten Seite.

Die grüne Briefmarke wurde am 3. Oktober 1897 in Halle an der Saale gestempelt, damals irgendein Tag, heute Tag der deutschen Einheit. Die rote Briefmarke wurde am 30. Juli 1897 in Heiligenberg gestempelt, ein vielleicht ja vom Namen her passender Ort.

Im Jahr 1897, am 9. November, gründete und leitete Prälat Lorenz Werthmann in Köln den Caritasverband für das katholische Deutschland. Tatsächliche Hilfe organisieren sowie zugleich die Phänomene studieren und darüber publizieren gehörte zu seinen Grundauffassungen, weshalb es seit 1997 den Lorenz-Werthmann-Preis gibt

Als Werthmann 1954 mit dieser Wohlfahrtsbriefmarke geehrt wurde, waren Kaiserreich, Weimarer Republik und das Horrorreich der Banalität des Bösen Geschichte. In der Neubegründung der Bundesrepublik wurden postalisch 6 Jahre hintereinander Vorbilder gesucht: „Helfer der Menschheit“, so hiessen die sechs Wohlfahrtsmarkensätze mit je 4 Briefmarken zwischen 1949 und 1955 – 17 Männer und 7 Frauen.

Werthmann befand sich 1954 in seinem Satz in der Gesellschaft der Künstlerin und Friedensaktivistin Käthe Kollwitz (7+3 Pfennig), Johann Friedrich Oberlin, protestantischer Pfarrer, Pädagoge und Sozialreformer (20+10 Pf.) sowie Bertha Pappenheim (40 + 10 Pf.), Gründerin und Leiterin einer großen Zahl jüdischer Wohlfahrtseinrichtungen.

Ihre Gemeinsamkeit? Sie waren alle Vier zivilgesellschaftliche Akteure, die versuchten mit ihren Initiativen die Welt ein klein wenig besser zu machen. Hier, in und aus der Zivilgesellschaft musste damals die Neubegründung der Bundesrepublik Deutschland gelingen. Ohne zivilgesellschaftliche Akteure wie die Caritas wäre sie nicht gelungen.

Der 9. November 1897 gehört zu den guten 9. November in der deutschen Geschichte.

Olympische Winterspiele

Eigenes Foto, Briefmarken DDR 16.12.1963

Nun haben sie also angefangen, die Olympischen Winterspiele in der Volksrepublik China. Sport allgemein, Olympia speziell, gehört zu den beliebten Motivsammelgebieten in der Philatelie. Das Stichwort Olympische Winterspiele liefert fast 1.000 Treffer im weltweiten Michel-Katalog.

Diese Briefmarken aus der DDR zu den Winterspielen 1964 gehören zu den schönsten, die ich kenne. Der Satz konzentriert sich auf eine Sportart, deren Ablauf mit diesem Satz gerafft erzählt wird. Dazu die klare farbliche Unterscheidung der vier Werte durch die farbliche Einrahmung, damit die Olympischen Ringe auf weissem Grund klar erscheinen.

Gewiss, aus heutiger Sicht mutet die Pudelmütze statt Sturzhelm seltsam an, zeigt den Abstand zur heutigen Sicherheitskultur, die wir in vielen Lebensbereichen haben. Ein ganz spezielles Sicherheitsthema prägt die Spiele in Bejing. Ein Thema, dass sich schon 2003 auf einer chinesischen Briefmarke ankündigte…

Eigenes Foto, Briefmarke VR China 2003

Die Covid-19-Pandemie hatte einen kleinen Vorläufer: die SARS-Pandemie 2002/2003, mit dem später SARS-Cov-1 genannten Coronavirus-Erregers. Auch diese Pandemie trat zuerst in China auf, wurde gut 3 Monate verheimlicht bis die Meldung am 10. Februar 2003 an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ging.

Die Briefmarke erschien am 19. Mai 2003, um den Kampf gegen SARS aufklärerisch zu unterstützen, aber auch um zugleich zu zeigen, dass die Staatsmacht diese Krankheit bekämpft. Ein stilisiertes Stoppschild aus Herzen, ein Strich durch einen Wortzug: Man sieht ihr an, dass sie mit heisser Nadel gestrickt wurde.

Schon im Sommer 2003 war die Pandemie weitgehend abgeflaut und ein Land bzw. Ort nach dem anderen wurde für virenfrei erklärt, Peking schließlich im Mai 2004. Letztlich hatte es gut 800 Tote gegeben, davon lediglich 45 ausserhalb Asiens.

Das mag dazu beigetragen haben, dass die meisten nicht-asiatischen Länder so schlecht auf SARS-Cov-2 vorbereitet waren und ausgearbeitete Empfehlungen, wie einer Pandemie mit einem neuen Virus vorzubeugen wäre, auch in Deutschland vor allem in ministeriellen Schubladen oder gleich im Papierkorb politischer Entscheidungsträger*innen landeten.

Am Anfang ist der Deutsche Bundestag – ohne Ägypten

Briefmarke zur Eröffnung des 1. Deutscher Bundestags 1949
Eigenes Foto

Am 7. September 1949 konstituierte sich der 1. Deutsche Bundestag in Bonn. Am gleichen Tag erscheinen genau aus diesem Anlass die ersten beiden Briefmarken der Bundesrepublik Deutschland (BRD), mit der symbolischen Darstellung eines Richtfestes: Ein neues demokratisches Haus der Deutschen soll entstehen. Links unten ist das Jahr dieses Beginns festgehalten.

Mit dieser Symbolik wurde an die verfassungsgebende Nationalversammlung der Weimarer Republik angeschlossen, mit der diese nach Kriegsende und Novemberrevolution in eine neue institutionelle Ordnung übergegangen war – und zugleich ein deutlicher Unterschied markiert.

Der am 1. Juli 1919 von der Reichspost herausgebrachte Satz hatte auch zu Symbolen gegriffen: Baum, Baumtriebe und Maurer. Alle drei Motive waren die Gewinner eines Künstlerwettbewerbs mit über 4500 Einsendungen gewesen.

Briefmarke Weimarer Nationalversammlung von 1919
Eigenes Foto

Die Briefmarken sollten 1919 die Nationalversammlung bekannt machen. Sie wurden dann bis ins Parlament hinein wegen ihres ägytisierenden Stils zum Gegenstand politisch-polemischer Auseinandersetzungen.

Allzu avantgardistisch waren sie, und der Phantomschmerz des untergegangenen Kaiserreiches zu groß. Deshalb gelang es diesen Briefmarken nicht, die Freimarkenserie zu ersetzen, die Jahrzehnte lang das Deutsche Kaiserreich begleitet hatte: die Germania.

Max Bittrof, der die Briefmarken 1949 entworfen hatte, greift nur das Motiv eines symbolischen Richtfests von 1919 auf. Zugleich befreit er es von allen ägytischen Anklängen.

Die Demokratie, um die es 1949 geht, erscheint durch und durch als Menschenwerk – ihr möglicher Erfolg ebenso wie ihr mögliches Scheitern. Auf allegorisch-religiöse Symbolik verzichtet er.

Allerdings verwendet er ein Natursymbol: die Sonne als runder Kreis mit geraden Strahlenstrichen. Er hatte sie in dieser Form schon 1948 auf einem 5-Mark-Schein für die Bank Deutscher Länder untergebracht.

Die Kritik an seiner stilisierten Lininenführung quittierte er mit dem Satz: „Dieses Gebilde zeigt den Mut, im Zeichen der Stromlinie etwas Neues zu schaffen.“

Warschau klagt an

2. Weltkrieg; zerstörungen in Polen
Brief aus Polen 1946, eigenes Foto

Warschau klagt an – so heisst der Briefmarkensatz, der 1945/1946 erschienen ist: auf der linken Seite der Marke jeweils der unzerstörte Vorkriegszustand, auf der rechten Seite, wie dieser Ort 1945 aussah.

Warschau wurde nicht nur durch unmittelbare Kriegshandlungen zerstört, sondern, nach der Nierderschlagung des Warschauer Aufstands, von der deutschen Wehrmacht mit Flammenwerfern und Sprengungen Häuserzug um Häuserzug, historisches Gebäude um historisches Gebäude, abgerissen.

Die rote Briefmarke zeigt das Königliche Schloss mit Sigismundsäule, die blaue Briefmarke die St.-Johannes-Kathedrale (14.–15. Jh.) und die schwarze Briefmarke das Hauptpostamt.

Diese Briefmarken zeigen nicht nur die Zerstörungen, man kann sie auch fühlen, wenn man das dünne Papier anfasst und die unregelmässigen Schnitte mit den Fingerspitzen fühlt, mit denen die Briefmarken aus ihren Druckbögen getrennt wurden.

Was mag der Empfänger des Briefes, selber Briefmarkensammler, damals 1946 gedacht haben? In Halle an der Saale, das fast unzerstört geblieben war – während Warschau fast komplett zerstört war? War er schockiert? Hat er sich geschämt? Hat es ihn bestärkt, das so etwas nie wieder passieren dürfe – erst recht nicht von deutschem Boden aus?

Allein diese drei Briefmarken wurden zusammengerechnet 100 Millionen mal gedruckt. Einhundert Millionen Anklagen, verschickt auf Briefen, Postkarten und Paketen, davon wie hier einige auch nach Deutschland, dem diese Anklage galt.

Diese Anklage, vor 75 Jahren erhoben, ist sie verjährt?

Das Braune Band nationalsozialistischer Elitenkultur

Briefmarkenausgaben Braune Band 1938, 1941, 1942; eigenes Foto

Der Sport, der auf den Briefmarken während des nationalsozialistischen Deutschen Reiches hoch im Kurs stand, war der Pferdesport: Ab 1936 erschien jedes Jahr eine Sondermarke zum Galopprennen „Braunes Band von Deutschland“.
Das Rennereignis selbst wurde von 1934 bis 1944 auf der Galopprennbahn München-Riem durchgeführt. Hier sind vier Briefmarkenausgaben zu sehen. Der abendliche Höhepunkt war in den Jahren 1936 bis 1939 die im Park von Schloss Nymphenburg äußerst freizügig ausgetragene Nacht der Amazonen – die oberste Marke von 1938 mit der freizügigen Göttin Victoria ist daher kein Zufall.
Vergleicht man die Bildersprache, so ist die Veränderung bei den Motiven für das Braune Band frappierend. Am 20. Juli 1941 sitzen kriegerische Amazonen auf den Pferden – der Angriffskrieg gegen die Sowjetunion ist da gerade einen Monat im Gang, die Wehrmacht überall an der Front im Vorwärtsgang.
Auf der Briefmarke 1942 sieht man zwar noch dynamische Pferde, doch die Reiterinnen sind verschwunden.
Und bei der letzten Ausgabe 1944 wird es für eine Briefmarke anlässlich eines Galopprennens ganz kurios: Sie zeigt eine Stute mit ihrem Fohlen, beide in idyllischer Ruhe.
Aus der Amazone wurde die Zuchtstute des Reiches, genauer gesagt: des „Grossdeutschen Reiches“, wie es ab Ende 1943 auf den Briefmarken hieß.

Eigenes Foto

Globalisierung: Snoopy in China

Globalisierung hat viele Facetten: Eine davon ist das grenzüberschreitende Lernen und die freiwillige Übernahme kultureller Traditionen, Stile und Objekte aus anderen Ländern und Kulturen. Ein wirklich schönes Beispiel sind diese selbstklebenden Briefmarken aus der Volksrepublik China (erschienen 2006). Und wer sich in die Auswahl der Bilder mit dem vielleicht berühmtesten Hund der Welt vertieft, kann einen kleinen Diskurs über Ruhe und Gelassenheit, über Freundschaft und Romantik, über Träumen und Abenteuer entdecken…

Snoopy ; Briefmarke
Eigenes Foto 2021

Baumeister Zivilgesellschaft: Regenbogenturm auf dem Geigerskopf

Geigerskopfturm Eine bedeutende zivilgesellschaftliche Tradition hat das Anlegen von Wanderwegen sowie das Bauen von Aussichtstürmen und Schutzhütten. Das protestierende Anketten an Schienen (z.B. in Gorleben) oder das bergsteigerische Erklimmen von Rußschleudern (etwa durch Greenpeaceaktivisten) sind insofern kurzfristige Varianten dieser in Gesellschaft und Landschaft eingreifenden Zivilgesellschaft.  Auf den beiden Fotos, die ich im Urlaub gemacht habe, steht neben dem leicht wirkenden, stabilen Turm auf einer Dankestafel, welche Unternehmen, Spender und Helfer zum Gelingen beigetragen haben: eine DanktafelVielzahl Privatpersonen, Freiberufler und Unternehmen aus der Region, zudem „10 weitere Spender, die nicht namentlich genannt sein möchten“. Das ist ein typisches Beispiel für trisektorales, bürgerschaftliches Engagement. Bauherr war der Schwarzwaldverein Oberkirch e.V., Architekt und Farbgestalter kommen ebenfalls aus Oberkirch. Der Turm ersetzte am 18. Juli 2000 den 1909 errichteten und am 13. November abgerissenen Aussichtsturm.

Ist die Schweizer Entscheidung unvernünftig? Über die List der Partizipation

Die mehrheitliche Schweizer Entscheidung zur Zuwanderungsbeschränkung von EU-Ausländern stösst auf viel Kritik. Ein interessantes Argument bei ZEIT-online zielt darauf ab, für mehr Bildung zu plädieren  – was unterstellt, dass man gegen diese Initiative sein muss, wenn man (genügend) gebildet ist. Deshalb sollte man schon daran erinnern: Bildung und Fremdenablehnung, Bildung und Rassismus haben früher zusammengepasst oder waren Carl Schmitt, Martin Heidegger und wie sie alle hiessen „ungebildet“? Bildung in solchen Kontexten anzuführen scheint mir eine Variante von Merkels „alternativlos“ und von Hegels „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“ zu sein. Tatsächlich aber geht es bei politischen Entscheidungen um Fragen wie: Wie will man leben, welche Werte hat man, welche Interessen? Die Worte, in denen das der Einzelne ausdrückt, mag sich nach dem Grad der Bildung unterscheiden, mehr aber auch nicht.
Was mir besonders aufschlussreich erscheint, ist die Tatsache, dass hier fast alle Parteien, Gewerkschaften und Wirtschaft gemeinsam gegen die Vorlage waren, aber sich trotzdem nicht durchsetzten konnten – analoge Ereignisse gibt es mittlerweile mehrfach auf kommunaler Ebene und Länderebene in Deutschland in unterschiedlichen Fragen: z.B. die Ablehnung in den betroffenen Gemeinden in Bayern, sich für Olympische Spiele zu bewerben. Schaut man sich dann die Argumente der überraschten Verlierer danach an, lassen sie erkennen, dass für sie ganz klar ist, dass die, die dagegen waren „Angst“ oder „Furcht“ hatten und man mit den eigenen Informationen nicht durchgedrungen sei. Kurzum: die Anderen haben eine ungebildete Entscheidung, aus dem Bauch heraus getroffen. Das verdeutlicht die unpolitische Herangehensweise der Eliten aus solchen Organisationshegemonien. Sie haben ihre eigenen Vorteile und Interessen so sehr zu objektiven Vernunftgründen rumphantasiert, das sie gar nicht mehr um politische Werte streiten – und genau damit wird die politische Frage nach der gewollten Lebensführung und der Ausgestaltung der dafür nötigen Rahmenbedingungen verfehlt.

Das ist die List der Partizipation: Sie bestraft unpolitische Eliten.

Energiewende, EEG-Reform und Engagementpolitik

Die Energiewende stellt insgesamt eine zentrale Schnittstelle für die Diskussion um bürgerschaftliches Engagement, Partizipation, gesellschaftlichen Wandel, ökonomisches Umsteuern und Zivilgesellschaft dar. Hier geht es nicht um die Nettigkeit Engagierter, auch das denunziatorische Gerede vom sogenannten Wutbürger geht an den meisten Akteuren selbst für Schlechtmeinende vorbei, sondern um eine grundlegende Auseinandersetzung um ökologische und wirtschaftliche Zukunfts- und Konkurrenzfähigkeit. Dabei sind die verschiedenen Teilhabe-Rollen der Bürger vielschichtig ineinder verschränkt und gleichermaßen ökonomisch, politisch und zivilgesellschaftlich bedeutsam . So greifen z.B. in den Bürgerenergie-Gesellschaften ökonomisches Eigeninteresse, Interesse an konkreter, nachhaltiger Umweltgestaltung und Selbstermächtigung häufig ineinander. Das ist eine trisektorale Durchdringungszone per excellence. Interessante Beiträge dazu finden sich im BBE-newsletter 2/2014. Dort werfen Trittin und Pau in etwas unterschiedlichen Worten der GroKo vor, den Bürgern die Energiewende zu entwenden, zugunsten der verschlafenen Energiegroßkonzerne. Weitere Beiträge aus dem politischen Raum dürften bald folgen.